Drei Wochen „neuer“ Unterricht – Herausforderung für Schüler, Lehrer und Eltern
Kurzer Rückblick auf Teil 1 unserer Chronologie:
Unsere Vorbereitungen auf die Schulschließung endeten damit, dass wir unser Teamportal vornehmlich als Dateiablage verwendeten und einen, in der Kürze der Zeit aus dem Boden gestampften, Echtzeitmessenger als Kommunikationsmittel mit unseren Schülerinnen und Schülern nutzten. Der Messenger wurde am Montag, den 16.03.2020, für unsere Abschlussklassen 9 und 10 als verpflichtend vorgeschrieben, für die restlichen Klassen war die Nutzung optional (diese vollzog sich bis auf einzelne Klassen der Unterstufe fast flächendeckend, was eine spätere Umfrage ergab). Hierbei zeigte sich schnell, dass ein dringender Nachholbedarf bezüglich der Versorgung aller Schüler mit entsprechenden Endgeräten von Seiten der Politik bzw. des Schulträgers besteht, um soziale Unterschiede auszugleichen. Die Organisation des Echtzeitmessengers vollzog sich in Form von Klassengruppen mit dem Klassenlehrer und entsprechenden Gruppen mit den jeweiligen Hauptfachlehrern, da man sich für die Anfangszeit darauf geeinigt hatte, schwerpunktmäßig die Hauptfächer abzudecken.
Am Dienstag, der 17.03.2020, begann also sowohl für unsere Schülerinnen und Schüler als auch unsere Kolleginnen und Kollegen eine spannende, aber auch beängstigende „neue“ Zeit, an die sich jeder zunächst gewöhnen musste.
Mein Fokus in den ersten Tagen bestand zum einen darin, für meine Schülerinnen und Schüler (und auch deren Eltern) fast rund um die Uhr da zu sein und den Start in die „neue“ Zeit möglichst gut zu begleiten. Zum anderen war mir und dem Rest vom Orgateam wichtig, auch den Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen zu halten, sie „mitzunehmen“ und ihnen vor allem auch in technischer Hinsicht bestmöglichen Support geben zu können.
In dieser Phase entdeckte ich neben dem Telefon vor allem die Vorteile der Sprachnachricht des Messengers für mich. Zeiteffizient konnten so etliche kleinere Probleme gelöst werden und vor allem in Bezug auf meine Klassen, erschien mir diese Form der Kommunikation viel persönlicher und näher als die schriftliche. In den ersten beiden Tagen war mir wichtig, dass sich meine Klassen an das neue Medium und unseren Umgang damit gewöhnten, was ihnen aufgrund der Ähnlichkeit zu WhatsApp in technischer Hinsicht sehr leicht fiel.
Wir waren, wie oben erwähnt, in einer Klassengruppe organisiert, die als gemeinsames Forum dienen sollte und in der ich tägliche Begrüßungen, Infos etc. weitergeben konnte. Bereits zu Anfang fiel mir auf, dass sich neben meinen täglichen Infos und vielen darauffolgenden „Ok’s“ etc. in der gemeinsamen Gruppe relativ wenig tat und sich alles über Privatchats mit meinen Schülerinnen und Schülern vollzog, was für den Anfang völlig in Ordnung war.
Wir arbeiteten in der Folgezeit mit meinen unterrichtsbegleitenden Skripten, die meine Klassen bereits im Vorfeld von mir bekommen hatten, sowie eines Wochenplans, der bereits für die gesamten drei Wochen vorbereitet war und meinen Klassen auf dem Webseitenreiter zur Verfügung stand.
Nach Rücksprache mit meinen Fachkollegen erfolgte meine erste „Hausaufgabenkontrolle“ am Mittwoch, den 18.03.2020. Die Abfrage der zu bearbeitenden Aufgaben vollzog sich so, dass alle meine Schüler mir ihre Aufgaben abfotografiert per Messenger schicken mussten.
Bei drei zu unterstützenden Mathematiklassen (knapp 90 Schülerinnen und Schüler) war das Postfach täglich derart gefüllt, dass eine ausführliche Kontrolle aller Aufgaben langfristig schlicht nicht realisierbar war. Grundsätzlich hielt ich es aber trotzdem für wichtig, die zu erledigenden Aufgaben zumindest in den Hauptfächern täglich einzufordern, um so eine Verbindlichkeit des „neuen“ Unterrichts zu verdeutlichen und den Schülerinnen und Schülern einen organisatorischen Rahmen an die Hand zu geben. Gemessen am normalen Schultag legte ich in der Folgezeit die tägliche Abgabefrist auf 13 Uhr fest (welche dann aber in der dritten Woche angepasst wurde). Aufgrund der beschriebenen täglichen Masse an zu kontrollierenden Aufgaben erfolgte aber dann am Sonntag, den 22.03.2020 eine entsprechende Anpassung, die ich meinen Schülerinnen und Schülern per Messenger ankündigte und auf meinem Webseitenreiter ausführlich ausführte:
Bezüglich der Arbeit bzw. des Kontakts innerhalb des Kollegiums herrschte stets ein reger Kontakt. Es wurden viel Infos zwecks technischer Probleme und Hilfestellungen ausgetauscht, häufig war jedoch auch die Zeit an sich, der Umgang damit und die weitere Verfahrensweise zentrales Thema der Gespräche. Man war füreinander da und half sich gegenseitig. Die Anzahl der aktiv teilnehmenden Kollegen im Echtzeitmessenger wuchs stetig an, sodass am Freitag, den 20.03.2020, lediglich einzelne fehlten. Der Zeitpunkt für eine Kollegiumsgroßgruppe war gekommen, die von zentraler Stelle eingerichtet wurde, damit alle automatisch „im Boot“ waren. Der Zweck dieser Gruppe bestand darin, sie als Forum zum Austausch aber auch als Informationskanal für Ankündigungen, Informationen etc. zu nutzen. Man fuhr aufgrund der paar fehlenden Kollegen im Messenger ab jetzt zweigleisig: Wichtige Informationen wurden sowohl per Messenger als auch per Email verteilt, um so jeden zu erreichen. In der Folgezeit war uns vom Orgateam wichtig, alle Kolleginnen und Kollegen möglichst niederschwellig mitzunehmen und deshalb nutzen wir ab jetzt die Kollegiumsgruppe, um einfache digitale Tools als „Appetizer“ vorzustellen, um so eventuell Lust auf mehr zu machen. An dieser Stelle muss ein großes Lob an unser sehr aufgeschlossenes Kollegium ausgesprochen werden. Exemplarisch erwähnt sei hier ein geschätzter Kollege, der kurz vor der Pension steht: Er äußerte in Telefonaten mit mir seine Bedenken bezüglich der digitalen Umstellung und ob er diese überhaupt meistern könnte bzw. auch wollte. Nachdem wir den Messenger gemeinsam installiert hatten, startete seine in meinen Augen absolute „Erfolgsgeschichte“. Er ging in der Kommunikation per Echtzeitmessenger mit den Klassen auf, war mit einer der ersten, der mit seinen Klassen Videokonferenzen durchführte und der Einzige, der gemeinsam mit seiner Abschlussklasse an einem Webinar eines Verlages teilnahm.
Aber auch insgesamt herrschte trotz dieser „Zwangsverpflichtung“ in unserem Kollegium gefühlt eine regelrechte Aufbruchsstimmung hinsichtlich eines digitalen Arbeitens, dass die Chance eröffnete, möglichst viel von dem was aktuell „gelernt“ wurde, in die Zeit nach Corona mitzunehmen.
Anmerkung: Parallel dazu wurden am gleichen Tag von offizieller Seite die schriftlichen Abschlussprüfungen der Realschulen verschoben: 20. – 28.05.2020. Am Termin der schriftlichen Hauptschulabschlussprüfung wurde festgehalten.
Am Samstag, den 21.03.2020 erschien in der Printversion der regionalen Tageszeitung ein Bericht über unseren „Unterricht“ in dieser besonderen Zeit. Außerdem wurde am gleichen Tag per Aufruf einer Kollegin in der Kollegiumsgroßgruppe die Idee einer gemeinsamen Fotocollage des Kollegiums geboren, welche nach sofortiger Zusage fast aller Kolleginnen und Kollegen innerhalb eines Tages verwirklicht wurde.
Eine sicherlich nicht nur für unsere Schule sehr ereignisreiche, spannende Woche war nun zu Ende gegangen. Das Wochenende war da, endlich etwas Zeit zum Verschnaufen, endlich Zeit für eine kurze Pause. Aber sicherlich auch die Zeit, um das Erlebte sacken zu lassen und das Kommende zu überdenken bzw. planen. Ich bzw. wir waren zu diesem Zeitpunkt der festen Überzeugung, dass wir als Schule in den nächsten Wochen einen digitalen „Boost“ erleben könnten, einen „Boost“, der unsere zukünftige Arbeit verändern könnte. Wir hatten uns gemeinsam als Kollegium auf den Weg gemacht.
Obwohl wir mit unseren beiden Säulen relativ autark arbeiteten, kam es am Montag, den 23.03. 2020 auch bei uns dazu, dass die Technik (zum Glück betraf das „nur“ unseren Emailserver) kurzzeitig streikte. Auch in dieser Woche ging es Schlag auf Schlag weiter: ein Kollege erhielt eine Anfrage von RegioTV, das aufgrund unseres Zeitungsartikels über uns berichten wollten. Auch hierbei fanden sich schnell Freiwillige, die einen „Beitrag“ zusteuerten, so dass Ende der Woche ein kleines Video über unsere Arbeit ausgestrahlt wurde.
Um die Früchte unserer Arbeit auch langfristig ernten zu können, war uns klar, dass die Arbeit dieser drei Wochen evaluiert werden musste, um Bewährtes beizubehalten, Missstände aufzudecken und Verbesserungsvorschläge zu berücksichtigen. Bereits am Donnerstag, den 26.03.2020 gab unser Schulleiter diesen Impuls in das Orgateam weiter, damit man sich frühzeitig gemeinsam um eine sinnvolle Evaluationsumfrage (mehr dazu im dritten Teil unserer Chronologie), die Mitte der dritten Woche im Kollegium durchgeführt werden sollte, kümmern bzw. diese initiieren konnte.
Am Freitag, den 27.03.2020, sorgte in den späten Nachmittagsstunden eine neue Verordnung des Ministeriums für Wirbel, der sich im Austausch in der Kollegiumsgruppe auch ins Wochenende zog. Die wichtigsten Punkte seien hier stichpunktartig kurz aufgeführt:
- Es müssen nicht alle Klassenarbeiten geschrieben werden.
- Die Termine der schriftlichen Prüfung werden für Ende Mai terminiert
- Die Zweitkorrektur findet im Haus statt
- Mündliche Prüfung erfolgt in den letzten 9 Schultagen
- Die Fächerübergreifende Kompetenzprüfung (FÜK) entfällt komplett
- Die Projektprüfung in Klasse 9 zählt nicht
- Die Projektarbeit entfällt komplett
- Die Fachinterne Prüfung zählt, wenn sie bereits durchgeführt wurde, Schüler können wählen, ob sie diese noch machen wollen.
In unterrichtlicher Hinsicht war diese zweite Woche geprägt davon, dass viele Kolleginnen und Kollegen erste Gehversuche im Bereich der Videokonferenzen mit ihren Klassen sammelten. Der Stein, der diese Möglichkeit der erweiterten Kommunikation ins Rollen brachte, war die Initiative eines Kollegen, der sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für das Kollegium nach ersten eigenen Versuchen, kleinschrittige Anleitungen zur Verfügung stellte, die jedem einen niederschwelligen Einstieg ermöglichten.
Von Seiten unserer Schülerschaft wurden in dieser Woche vermehrt Stimmen laut, dass sie die Schule vermissten und gerne wieder zur Normalität zuückkehren wollten. Einmal mehr wurde uns klar, wie wichtig der intensive Kontakt zu unseren Schülerinnen und Schülern aber natürlich auch deren Eltern war. Zur Auflockerung und Ablenkung forderte ich deshalb meine Klassen am Donnerstag, den 26.03.2020, zu einer #Arbeitsplatzchallenge heraus. Wer herausfordert, muss natürlich auch mit gutem Beispiel vorangehen.
In der dritten Woche kamen die Nebenfächer zum Kanon der Hauptfächer hinzu. Im Vorfeld wurden dazu optional Klassengruppen mit allen Fachlehrern einer Klasse angelegt, um das weitere gemeinsame Vorgehen abstimmen zu können. Man einigte sich darauf, dass sich die zu gebenden Aufgaben an den zu haltenden Stunden laut Stundenplan orientieren sollten. Die Ordner der jeweiligen Fächer im Teamportal füllten sich also zu Anfang der Woche, was für viele Schülerinnen und Schüler eine spontane Überforderung darstellte. In der Klassengruppe wurde der Unmut geäußert, so dass ich mit den Hauptfachlehrern und einzelnen Eltern Kontakt aufnahm, um entsprechend nachjustieren zu können. Wir waren uns einig, dass nicht der inhaltliche Aspekt das Problem war, sondern der zeitliche. Die Abgabezeiten der Aufgaben orientierten sich an dem normalen Ablauf eines Schultages. Wie oben erwähnt legte ich den Abgabezeitpunkt auf 13 Uhr fest, da der normale Schultag (ohne Mittagsunterricht) dann endet. Da meine Schülerinnen und Schüler den ersten beiden Wochen lediglich in den Hauptfächern die Abgabetermine koordinieren mussten, war diese erste Stufe ihres selbstorganisierten Lernens gut machbar. Die dazukommenden Nebenfächer brachten in diesem neuen Ablauf eine gewisse „Unordnung“. Unsere Lösung teilte ich meiner Klasse per Messenger mit, was sowohl von Schüler- als auch Elternseite dankend angenommen wurde und sich als richtiges Entgegenkommen und Verfahrensweise erwies.
Parallel dazu eröffnete sich in diese Woche das Lernfeld „Der Klassenchat, ein soziales Netzwerk“, welches ich hier beschrieben habe. Der Fokus lag nun darauf, dass meine Klasse sich gegenseitig in der Klasse helfen sollte, wobei ich stets im Blick behielt, wann mein Einsatz von Nöten war:
Am Freitag, den 03.04.2020, gingen ereignisreiche Wochen zu Ende, in denen sehr viel passiert war, was es reflektiert und kritisch zu überdenken galt. Die Kollegiumsevaluation, die bis Sonntag, den 05.04.2020, terminiert war, war bereits an diesem Tag fast vollständig durchgeführt worden und die ersten Planungen für entsprechende Schülerevaluationen liefen auf Hochtouren.
Mehr dazu im dritten Teil unserer Chronologie 😉
Mein Resümee dieser drei Wochen:
Die wertschätzenden Gespräche miteinander, das Miteinbeziehen von Schüler-, Eltern- und Lehrerperspektive und das gemeinsame Finden von Lösungen habe ich als sehr gewinnbringend und als Basis für das Gelingen unserer Bemühungen empfunden. Das Hineinversetzen in den jeweils anderen ließ viele Dinge plötzlich in einem anderen Licht erscheinen und ermöglichte anschließend eine entsprechende Verfahrensweise, die oft per Trial and Error ausgelotet werden musste, mit der aber letztendlich jeder zufrieden war.
Bei allen Bemühungen war uns aber stets bewusst:
Die Chance, schulisch in kurzer Zeit langfristig etwas verändern zu können, war nur aufgrund einer Pandemie, die das gesamte gesellschaftliche Leben auf den Kopf stellte, möglich.
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