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Wer sagt, dass Computational Thinking nur etwas für die Informatik ist?
In meinem aktuellen Matheunterricht in der Klasse 10 haben wir gestern behandelt, dass diese Denkweise auch bei ganz klassischen Mathematikthemen wie dem Erwartungswert (Erklärvideos zur Thematik findest du hier) hilfreich und motivierend sein kann.
Aus der Grundschule in die Sekundarstufe I
Der Impuls kam aus einer ganz anderen Richtung: In einigen Grundschulen des Landkreises Ravensburg und Biberach wird zurzeit mit Lego Education Spike Essentials gearbeitet, um schon bei jüngeren Kindern erste Programmiererfahrungen zu ermöglichen. Dabei geht es um das spielerische Heranführen an Computational Thinking, also die Fähigkeit, komplexe Probleme zu erkennen, sie in Teilschritte zu zerlegen und systematisch zu lösen – vergleichbar damit, wie ein Computer an Aufgaben herangeht.
Daraus entstand bei mir die Frage: Kann man diese Herangehensweise nicht auch auf mathematische Problemstellungen übertragen? Insbesondere bei Aufgaben zum Erwartungswert in der Wahrscheinlichkeitsrechnung (Erklärvideos zur Thematik findest du hier) ist ein strukturiertes Vorgehen entscheidend. Genau wie beim Programmieren ist es sinnvoll, einen klaren Ablaufplan (Algorithmus) zu haben.
Der Ablauf in vier Schritten
Nachdem wir kurz brainstormten, was Computational Thinking sein könnte, erklärte mein generierter Avatar die Definition. Anschließend folgten wir bei der Behandlung der Erwartungswertaufgaben einem vorher im Plenum gut definierten Schema – ähnlich einer Programmieranleitung:
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Baumdiagramm bzw. Tabelle erstellen
Bevor wir rechnen, entwickeln wir ein klares Bild der Situation. Welches Zufallsgerät liegt vor (z. B. Münze, Würfel, Lottoziehung)? Und wie verzweigt sich das Ganze? Das Baumdiagramm bzw. die Tabelle liefert uns eine visuelle Hilfe, um den Ablauf des Zufallsprozesses zu verstehen. -
Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses berechnen
Oft geht es um ein zweistufiges Ereignis (z. B. bei zwei Würfen, zweimaligem Ziehen, zweimaligem Drehen eines Glückrads etc.). Durch das systematische Durchlaufen des Baumdiagramms bzw. der Tabelle können wir die Wahrscheinlichkeit exakt bestimmen. Die übersichtliche Darstellung verhindert Fehler – genauso wie beim Programmieren, wenn man sich auf klar beschriebene Variablen und Prozeduren stützt. -
Erwartungswert über eine zusätzliche Tabelle ermitteln
Der nächste Schritt ist fast wie eine Datenstruktur in der Informatik. Wir legen eine Tabelle an, in der wir jedem Ereignis seinen Gewinn, den zu leistenden Einsatz, der daraus entstehenden Bilanz sowie dessen Wahrscheinlichkeit zuordnen. So entsteht eine Art „Datensatz“, aus dem wir den mathematischen Erwartungswert berechnen. Schüler*innen können hier gut erkennen, wie sich ein Ergebnis aus mehreren Einzelteilen zusammensetzt. -
Veränderte Bedingungen – erneute Berechnung
Als letzte Herausforderung nehmen wir Änderungen vor (z. B. anderer Einsatz, abweichende Wahrscheinlichkeiten, zusätzliche Ereignisse oder ein veränderter Erwartungswert). Auch hier lohnt es sich, auf das ursprüngliche Vorgehensschema zurückzugreifen. Statt alles von Null zu durchdenken, passen wir den „Algorithmus“ an die neuen Bedingungen an.
Computational Thinking als roter Faden
Was mich am meisten fasziniert hat: Die Vorgehensweise ist genau das, was man unter Computational Thinking versteht:
- Zerlegen: Wir haben die Aufgabe in klar abgetrennte Teilschritte (Baumdiagramm bzw. Tabelle, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Erwartungswert, Veränderte Bedingungen) unterteilt.
- Mustererkennung: Durch das wiederholte Lösen verschiedener Aufgaben wurde klar, dass das Schema immer ähnlich ist.
- Abstraktion: Wir nutzten Tabellen, um komplexe Situationen auf die wichtigsten Informationen zu reduzieren.
- Algorithmisches Denken: Jeder Schritt folgt in einer festen Reihenfolge, die wir fast wie ein Programmierungsschema anwenden konnten.
Spannend dabei war, dass wir das Prinzip des Computational Thinking völlig "unplugged" nutzen konnten. Das zeigt mir einmal mehr, wie allgegenwärtig diese Denkweise in vielen Fachbereichen sein kann.
Fazit
Die Methodik des Computational Thinking kann Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, Probleme zielgerichtet zu lösen. Ob mit oder ohne Computer: Ein schrittweises, systematisches Vorgehen erleichtert das Verstehen und motiviert, weil Erfolgserlebnisse sichtbar werden. Das entlastet einerseits bei komplexen Aufgaben und fördert andererseits das Bewusstsein, dass Strukturen und klare Vorgehensweisen sie im Alltag (und später auch im Beruf) voranbringen können – ganz gleich ob in der Mathematik, in den Naturwissenschaften oder beim Programmieren selbst.
Probiert es aus ;-)
Ich freue mich über euer Feedback :-)
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